Fred Jaggi – Hasli-Dytsch

Wenn Fred Jaggi «es giferli» oder «e finketen» sagt, werden gleich zwei Besonderheiten seines Hasli-Dytsch deutlich, die er so schätzt. Erstens: Sein Dialekt ist sehr differenziert. «Wir sagen nicht einfach: es schneit oder es hat geschneit», erzählt der 87-jährige Gadmer. «Insbesondere mit alten Ausdrücken kann man viel genauer sagen, wie etwas ist.» Beispielsweise ist «feiserlen» ein leichter Schneefall. Damit verbunden ist der zweite Vorteil: In seinem Dialekt gibt es Begriffe, für die man im Hochdeutschen mehrere Worte benötigt, um etwas zu beschreiben. So sagt Fred Jaggi kurz und bündig «etlimmen», was so viel heisst wie: Die Sonne erwärmt den Schnee ein wenig.

Missverständnisse nimmt er in Kauf

Viele seiner Begriffe sind bereits in Meiringen nicht mehr gebräuchlich und «Brienz ischo en andiri Wält.» Fred Jaggi hat sich daran gewöhnt, dass man ihn ab Innertkirchen oft nicht versteht. «Keis Problem, de wächslini uf Hochdytsch.» Denn seinen Dialekt mit anderen Schweizer Dialekten zu mischen, kommt für ihn nicht in Frage. Missverständnisse nimmt er dabei in Kauf. «Gids allpot eis», erzählt er lachend. Er erhält aber auch viele positive Rückmeldungen auf seinen Dialekt. Dass dieser immer mehr «verflacht», wie er es nennt, sei «jammerschad». Nur die ältere Generation spricht noch Hasli-Dytsch, das aufgrund der alten Säumerpfade über den Brünig und Grimsel Gemeinsamkeiten mit der Mundart aus dem «Ländle» (Ob- und Nidwalden) und dem «Wallser-Dytsch» hat. Seit einigen Jahren schreibt Fred Jaggi Begriffe seines ausgeprägten Dialekts auf, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Auf seiner Liste stehen über 500 Begriffe, rund 100 davon sind bereits ausgestorben.

Dialekt bedeutet Heimat

Hasli-Dytsch bedeutet für Fred Jaggi Heimat. Er wuchs in Gadmen auf und lebte dort 84 Jahre lang. Einen Monat nach seiner Ausbildung an der Bergbauernschule hatte er einen schweren Unfall. Daher erlernte er das Schreinerhandwerk, was er ein Leben lang mit viel Leidenschaft ausübte und noch immer tut. Beständigkeit prägt sein Leben auch sonst. 50 Jahre lang hatte er Bienenvölker und wirkte im Film «More than honey» mit. Mit seiner Frau Margrit ist er seit 52 Jahren verheiratet. «Sie stammt aus dem Thurgau. Als wir uns kennenlernten, verstand sie nur die Hälfte von dem, was ich sagte», erinnert sich Fred Jaggi. Mit Hasli-Dytsch hat sie es nie versucht, was beide richtig finden. «Man darf hören, woher man kommt.» Und was ist nun der Unterschied zwischen «es giferli» oder «e finketen»? Ein ziemlicher grosser, wie ein Blick auf seine Liste zeigt: Es «giferli» ist ganz wenig Neuschnee, «e finketen» ist knietiefer Schnee. 

Haslitaler Ausdrücke

  • ambätz = widerwärtig
  • goolen = mit jungen Katzen spielen
  • stich chidig = dunkle Nacht
  • gläffi = ein einfältiger Typ
  • sönggen = langsam machen
  • groigi = Grippe
  • tschäägli = Fuss

Hörprobe

Verstehen Sie alles, wenn Fred Jaggi in seinem Hasli-Dytsch vom strengen Leben als Bergbauernbub erzählt? Hören Sie gut hin.

Hinweis: 

Ich bin Jaggi Fred, geboren in Twirgi (Weiler) 1937. Bin mit drei Geschwistern aufgewachsen im elterlichen Bergbauernbetrieb. Ich habe eine schöne Jugend gehabt, bestimmt nicht immer ganz einfach. Man wurde früh zur Arbeit erzogen. Ich war als Bub auf der Alp. Habe auf Milistadel – das war das nächste Schulhaus – neun Jahre Primarschule gemacht. Ich habe dann später auf dem Hundrich die bergbäuerliche Berufsprüfung gemacht und hatte Freude an der Landwirtschaft und wollte weiterfahren wie es meine Vorfahren taten. Im Sommer ging man heuen, bergheuen, das war ein ganz wichtiger Punkt. Und das Heu im Winter zu holen war speziell. Bei viel Schnee ist man in die «Mäder» gewatet und hat Bündel geladen und ins Tal runter gezerrt und in den Heuschober hochgetragen. Es gab strenge Tage, aber es war schön. Daneben ging man holzen, da war noch die Losholzerei – ich bin Bürger der Bauerngemeinde. Jeder Bürger hat ein Holzkontigent für Reparaturen an Gebäuden und Losholz als Brennholz für das Haus. Das war in Bezirke eingeteilt. Der Förster hat jeweils das nötige Holz pro Bezirk im Wald angezeichnet. Das ging man dann rüsten und hat es herunter gereistet, den Rest hat man entrindet und hat das Brennholz nachhause gezerrt und gespalten, und gestapelt. Hat Schindelholz gehabt und geschindelt, hat Schindeln gemacht, um die Dächer zu unterhalten. Das heisst, die Arbeit ist einem nie ausgegangen, man hatte immer etwas zu tun. Es war eine schöne Zeit, streng, aber schön. Man war glücklich.

Fred Jaggi, Fotograf: Urs Stettler

Werner Matter – Ängelbärger Dialäkt

Die Zahl 3 spricht man im Engelberger Dialekt als «drui» aus. Also wird die Zahl 33 zu «druädruisg»? Werner Matter korrigiert: «Näi, sondern druiädreisg, weil druiädruisg blöd töönt.» Bei der Zahl 9 tönt es dann gut, also sagt man «nuin» und «nuinänuinzg» für 99. So ist das – und so geht es weiter: «Luit» sind Leute, «nuis» ist Neues. Oder wenn er jeweils freitags die Grosskinder hütet, dann heisst das «hiätä». Werner Matter ist in Engelberg geboren und aufgewachsen, arbeitet im Winter bei den Bergbahnen und im Sommer auf dem Hof der Tochter. Der 62-Jährige fühlt sich zuerst als Engelberger und erst dann als Obwaldner. Sein Dialekt weist hörbare Ähnlichkeiten mit dem Hasli-Dytsch auf. «Das verwunderet mich äbe nid», sagt er mit Blick auf die Liste von Fred Jaggi. Auch Werner (im Dorf ist man per Du) sagt dem Fuss beispielsweise «tschäggli» oder «goolä», wenn man mit jungen Katzen spielt. «Unser Dialekt konnte sich lange Zeit recht abgeschottet entwickeln, wurde aber auch durch den Handel geprägt», erklärt Werner. «Die Handelsroute nach Italien verlief über den Jochpass und das Haslital.»  

Sprache wandelt sich

Werner Matter schätzt, dass noch maximal 20 Prozent im Dorf den Engelberger Dialekt sprechen. Und nur ein Bruchteil davon würde noch den melodiösen Engelberger Dialekt beherrschen, der «uifä ond apä» geht, ein lieblicher Singsang, bei dem sich ä und o und ui ständig ablösen. «Personen, die diesen urtümlichen Dialekt mit langgezogenen Lauten benutzen, trifft man eher noch im Altersheim an», sagt Werner Matter. Oft hiesse es, dass dieser melodiöse Dialekt der echte Engelberger Dialekt sei. «Was heisst schon echt? Sprache ist immer im Wandel», ist Werner Matter überzeugt. Das erlebt er in der eigenen Familie. Seine Engelberger Frau, die in Luzern aufgewachsen ist, prägte den Dialekt ihrer Kinder ebenso wie sein Engelberger Dialekt. Die Grosskinder sprechen nochmals anders, trotz viel Engelberger Blut.

Chillen ist «Nuiduitsch»

Charakteristisch für die Gegenwartssprache ist beispielsweise die Verwendung von englischen Ausdrücken. Sich entspannen heisst neudeutsch: chillen. Dieses «nuiduitsch», wie Werner sagt, trifft er überall im Dorf an. Die vielen zugezogenen «Luit» in Engelberg, aber auch die Gäste beeinflussen den Dialekt. Das erlebt er auch als Präsident der Theatergruppe Engelberg. Auf der Bühne wird ein «absoluts Mischmasch vo Dialäkt» gesprochen, was aber nicht weiter schlimm sei. Und trotzdem: Ihm ist es wichtig, seinen Dialekt und damit seine Identität zu bewahren. So bleibt er bei «drui» und «druiädreisg», sagt einem eher steilen Stück Land weiterhin «Plänggi». Er kann gar nicht anders. Wie schön.

Engelberger Ausdrücke

  • Hesch nais nuis? = Weisst du etwas Neues?
  • drui, fuif, nuin = drei, fünf, neun
  • Chatzeböckel = Kater
  • Gläff = grober Ausdruck für Mund
  • ä Gnieti = ein mühsamer Typ
  • unerchant = unerhört
  • Skalazne = Frühstück

Hörprobe

Wie tönt der Engelberger Dialekt? Hören Sie Werner Matter zu, wie er den speziellen Namen eines «Plänggi» (ein Stück Land) erklärt.

Mein Name ist Werner Matter, wir haben vor Jahren die Flurnamen rund um das Dorf und vor allem auch auf den Alpen erfasst. Und dabei ist unter den anderen vielen Flurnamen ist einer aufgetaucht, bei welchem viele Leute begonnen haben, wieso das so heisst. Und da war das «Muurwaltereplänggi». Das kann man gut erklären, warum das so heisst: «Murw» heisst «es ist noch zart», «alteren» das wissen wir, «altern» tun wir alle und «es Plänggi» ist der Ausdruck, für ein Stück Land, welches eher steil ist. Also bedeutet es, dass das eher steile Stück Land, welches dort ist, auch im Alter noch zart ist. Und deshalb nannte man dieses eher steile Stück Land «Muurwaltereplänggi».

Werner Matter, Fotograf: Urs Stettler

Brigitt Flüeler – Stansere

Und dann kam Marco Odermatt, der beste Skifahrer der Welt. Wo auch immer er Interviews gibt, sein ausgeprägter Buochser Dialekt ist unüberhörbar. «Es ist toll, dass er so selbstbewusst hin steht und buochsered. Damit ist er ein super Botschafter für Nidwaldner Dialekte», findet Brigitt Flüeler aus Stans. Sie möchte alle ermutigen, so zu sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. «Damit bewahren wir die Sprachenvielfalt der Schweiz.» Sie hat oft beobachtet, dass Menschen aus Nidwalden ihren Dialekt anpassen, weil sie nicht auffallen wollen. Und kaum ist man wieder zuhause ist, «dued me nidwaldnere». Sprache und Mundart begleiten Brigitt Flüeler schon ihr ganzes Leben. Sie absolvierte das Lehrerseminar, studierte Geschichte und arbeitete 27 Jahre lang bei Radio DRS1 und Radio SRF1 in verschiedenen Funktionen, unter anderem als Redaktionsleiterin. «Mein Dialekt war ein Plus, denn das Radio hat den Auftrag, die Dialektvielfalt der Schweiz abzubilden». Sie erhielt oft Komplimente für ihren melodiösen Dialekt – «stansere teent de scheen» – er sei aber eine Medaille mit zwei Seiten: «Wenn man etwas sagt, möchte man Inhalt vermitteln und nicht nur eine Wort- und Satzmelodie.»  

Sprache braucht ein Gegenüber

Die Nidwaldner Mundart zeichnet sich durch feine Unterschiede in der Betonung, Dehnung und der Aussprache auf engstem Raum aus. Wenn es schneit, sagt die Stanserin «schniie», der Buochser «schneye», obwohl zwischen ihnen nur knapp fünf Kilometer liegen. Wie überall wandeln sich auch in Nidwalden die Dialekte. Es fehlt ihnen immer öfter an Ecken und Kanten, traditionelles Sprachgut geht verloren. Wenn Brigitt Flüeler «es Ghirsch» für ein Durcheinander sagt oder «Ruibili» für Locken, verstehen das längst nicht mehr alle. «Ich benutze solche alten Begriffe nicht bewusst, es ergibt sich einfach in Gesprächen. Ich bin manchmal selber erstaunt, dass ich ein Wort noch kenne und verwende.» Daran zeigt sich: Sprache braucht ein Gegenüber. Und Sprache wird geprägt vom Gegenüber. Das bestätigt die Maturaarbeit von Fabio Odermatt. Er erforschte und dokumentierte die Verwendung des Nidwaldner Dialekts am Kollegiums St. Fidelis in Stans. Das Ergebnis: Nur 14 Prozent aller Schweizerdeutsch sprechenden Schülerinnen und Schüler wenden immer den Nidwaldner Dialekt an, weitere 24 Prozent setzen ihn immerhin teilweise ein. Wer den Dialekt teilweise spricht, nutzt ihn insbesondere mit Gesprächspartnern, die denselben Dialekt verwenden. Wenn das Gegenüber hingegen einen anderen Dialekt spricht, unterdrücken viele Befragten ihren Nidwaldner Dialekt. Mit Marco Odermatt könnte sich dies ändern. Er sollte Mut machen, den eigenen Dialekt zu sprechen. Immer und überall.

Stanser Ausdrücke

  • eppis hed Mang = etwas hat Geschmack
  • drii, fiif, niin = drei, fünf, neun (Stans); drey, feyf, neyn (Buochs)
  • ä Gischpel = jemand der sich schnell bewegt
  • umenand sturne = sich nicht zielgerichtet bewegen oder denken
  • Maigelwätter = schläfriges Wetter
  • eischiir = eigensinnig
  • Tutsch = Nuggi, Schnuller

Hörprobe

Wie tönt es, wenn Brigitt Flüeler «stansered»? Hören Sie sich ein kurzes Ferienerlebnis an, bei dem der Name Marco Odermatt der Schlüssel war.

Ich bin Brigitt Flüeler und ich bin in Stans aufgewachsen. Ich war einmal in Frankreich, in Südfrankreich in den Ferien und da hat man mich gefragt, woher ich käme. Und ich habe umständlich begonnen zu erklären, ich sei aus der Nähe von Luzern, es sei in der Mitte der Schweiz. Die Antwort lautete: «Ja, Luzern habe ich schonmal gehört. Lac des Quatre-Cantons (Vierwaldstättersee), ja möglicherweise habe ich das schon mal gehört.»
«Das ist ganz genau in der Mitte der Schweiz.»
«Aha, ja.»
Und ob ich aus der Stadt käme. Ich habe gesagt nein, ich komme aus einem Dorf in der Nähe von Luzern, es hiesse Stans, es sei im Kanton Nidwalden. Und plötzlich haben sie es realisiert und sie haben gesagt «Ja … Marco Odermatt?» und ich habe gesagt «Ja, im Nachbardorf von Marco Odermatt bin ich aufgewachsen.» 
«Oooh, Marco Odermatt!» und ich habe genauso gestaunt, wie sie, weil ich gedacht habe, dass kein Mensch in Südfrankreich Marco Odermatt kennt. Aber falsch gedacht …  

Brigitt Flüeler, Fotograf: Urs Stettler