Rezepte braucht's auch im Führerstand.
Magazin25.08.2023Thomas Keiser
Ginseng, Globuli und Zäpfchen spielten im beruflichen Leben von Daniel Schwery die Hauptrollen, bis sein Weg zur Zentralbahn führte. Heute sind seine Protagonisten Räder, «Steuerknüppel» und Technikwissen. Wie ein gelernter Drogist zur Eisenbahn fand und welche ursprünglichen beruflichen Zutaten er heute anwendet, zeigt er mit Blick aus dem Führerstand.
Es ist seine Zeit und seine Schicht. Daniel Schwery fährt gerne in den Abend hinein. Auf zwei Rädern hat er den Luzerner Bahnhof erreicht und dabei die frische Luft dieses kühlen Sommertages eingeatmet. Es gilt nun, den Zug bereitzustellen. «Innerhalb von 10 Minuten bereite ich mich im Führerstand vor, gebe beispielsweise Zugfunkdaten ein, führe eine vereinfachte Bremsprobe durch und überprüfe das Kundeninformationssystem.» Gesagt, getan folgt die mentale Strecken-vorbereitung. «Ich fokussiere mich auf den Ablauf und gehe die Details nochmals durch.» Er führt den Vergleich mit einem Skifahrer heran: «Diese Athleten haben ihre Route im Kopf, dürfen nicht nervös werden und müssen das Beste auf der Strecke herausholen. Das ist auch mein Anspruch an die tägliche Arbeit.»
Grosis heisser Tipp
Daniel Schwery ist routiniert unterwegs, sein Lachen ein Dauerbegleiter. Ein kommunikativer Typ, der auf den ersten Blick auch einer anderen Beschäftigung nachgehen könnte. Das tat er auch. Als gelernter Drogist führte er die «Wäsmeli Drogerie» im gleichnamigen Quartier in Luzern. Wie so vieles in seinem Leben dem Zufall geschuldet ist, ist die Übernahme dieses Geschäfts auf einen heissen Tipp seiner Grossmutter zurückzuführen. «Zwischen Tür und Angel stand ich, als sie mir sagte, der langjährige Inhaber gehe in Pension. Für mich war die Übernahme der Geschäftsführung beinahe vergleichbar mit einem Husarenstück. Ein gewisses Risiko war’s, jedoch glaubte ich an den Erfolg.» Seine beruflichen Etappen führten ihn anschliessend an verschiedene Orte, bevor er sich dem Führerstand und seinen Traumberufen näherte. In seinen kindlichen Vorstellungen sah er sich als Bahnhofvorstand bei der Rhätischen Bahn, während seine jugendliche Vision Richtung Pilot zielte. Um dem Freiheitsgefühl der Fliegerei näher zu kommen, engagierte er sich bei der Bodenabfertigung in Zürich-Kloten, bevor er sich ins Cockpit eines anderen Fahrzeuges setzte: eines auf vier Rädern und mit Menschen an Bord. Bei einem Schweizer Carhalter heuerte er an, fuhr quer durch Europa und brachte Tagesausflügler an ihr Ziel und zurück. «Diese Aufgabe erfüllte mich von A bis Z. Ich durfte vor Ort Ausflüge buchen, den Bus auf Hochglanz bringen, die Gäste beglücken und einfach schauen, dass alles rund läuft. Ich merkte allerdings, dass dieser Job mit meiner wachsenden Familie kaum vereinbar war. Du bist viel unterwegs und manchmal nur 24 Stunden zu Hause, um die Wäsche zu reinigen.»
«Falscher Film»
Das Führen eines grösseren Fahrzeuges, Verantwortung für Gäste zu übernehmen sowie die Mischung von Technik und Mensch interessierten ihn weiterhin. Der Sprung von der Strasse auf die Schiene führte über die Website der Zentralbahn, die ihm zeigte, dass Quereinsteigerinnen und -einsteiger für die Fahrt auf Schienen gesucht werden. Den Einstieg in die elfmonatige Ausbildung bezeichnet er als herausfordernd. «Die ersten drei Wochen dachte ich, ich sei im falschen Film. Beispielsweise setzten wir uns mit den Fahrdienstvorschriften auseinander. Es ist, als ob du ein Buch in einer Fremdsprache lesen würdest, also keine wirkliche Bettlektüre. Du liest eine Stelle dreimal und denkst still für dich, was ist denn da gemeint?»
Tricks aus dem Nähkistchen
Von den vier Standorten Giswil, Luzern, Meiringen und Stansstad startet das Lokpersonal in den Tag. Obwohl das Wort «Tag» nur teilweise zutrifft, denn die Menschen im Führerstand bringen ihre Gäste von frühmorgens bis spätabends «hin und weg». «Die Schichtarbeit ist die grösste Herausforderung für den Organismus. Die Null-Fehler-Toleranz liegt uns Lokführerinnen und -führern im Nacken, du musst immer zu 100 % da sein.» In diesem Bereich hilft ihm das Wissen aus seinem ursprünglichen Beruf. Daniel Schwery greift in die Tasche und zeigt zwei, drei seiner «Wundermittel». «Guayusa-Tee, das Nationalgetränk von Ecuador, bringt und hält dich in Schwung. Oder Guaranà ist für mich eine starke Sache, das Koffein fliesst langsam in den Körper und wirkt länger als beispielsweise ein Espresso. Und wichtig ist, dass du schweres Essen während des Dienstes vermeidest.»
Sein «Nähkistchen» aus dem früheren Berufsleben ist gefüllt mit weiteren hilfreichen Tricks. Er zeigt auf seine Hände und spricht von seiner erlernten Sorgfältigkeit, die er in den Führerstand transferieren könne. «Die Fertigkeit und das Feingefühl der Hände habe ich im alten Job erlernt, wir mussten vielfach ohne Trichter abfüllen. Das hilft mir nun. Ich will so fein und sauber fahren wie möglich.»
Das Abfahrtsignal des Zugpersonals ertönt, Daniel Schwery bringt die Räder unter seinen Füssen in Schwung und verlässt mit «seinen» Gästen den Bahnhof Luzern. Angesagt ist die Reise mit dem Luzern–Interlaken Express nach Interlaken Ost, auf den Sitzplätzen direkt hinter dem Führerstand hat es sich eine Wandergruppe mit dem Ziel Brünig-Hasliberg gemütlich gemacht. Bei der Ausfahrt aus dem Loppertunnel erhascht plötzlich ein Leuchten seine Augen. Eine Herde von Ziegen springt über Stock und Stein und zeigt, wie leichtes Leben funktioniert. Diese neugierigen und eigenwilligen Tiere haben sein Herz erobert. «Momentan stelle ich Joghurt, Quark, Rahm und Käse noch mit Kuhmilch für den Eigengebrauch selbst her.» Während er von seiner Selbstversorgung erzählt, zieht der Zug an der Geissenherde vorbei, der Halt in Sarnen wird bald eingeleitet. «Ein weiteres Projekt ist die Verarbeitung von Ziegenmilch, ich tüftle momentan daran.» Man merkt, so neugierig wie die Ziegen auf der Wiese sind, ist er es in seiner «Hobby-Werkstatt»
Impressionen
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Dies ist ein Beitrag aus dem Magazin «hin und weg». Die gedruckte Version finden Sie an den Bahnhöfen Engelberg, Sarnen, Stans und Meiringen, in allen Reisezentren sowie auf dem Zug. Gerne senden wir Ihnen das Magazin auch nach Hause. Schicken Sie dazu eine Mail an hello@zentralbahn.ch mit dem Betreff «Magazin hin und weg abonnieren» und Ihrer Postadresse als Nachricht.