Hergiswil, Nidwalden, 1946: Durch das malerische Dorf mit der grossen Glashütte schmiegt sich die Eisenbahn nunmehr seit 57 Jahren dem kupierten Gelände an. Das letzte Haus an der Kantons­grenze zu Luzern bildet der Posten 6d. Ein schmuckes, klei­nes Barrierenwärterhaus mit den schönsten Hortensien und Geranien weit und breit, in welches Ernst Christen mit zwei älteren Geschwistern hineingeboren wird.«Das Eisenbahnvirus habe ich mit der Muttermilch getrun­ken», sagt er im Gespräch und zeigt auf seine mitgebrachte Malerei. «Während ich im Sandhaufen spielte, erledigte mei­ne Mutter die Wäsche sowie den Haushalt und betätigte stündlich die Barriere.» Eine Glocke gab an, aus welcher Richtung der Zug eintraf; läutete sie einmal, so kam der Zug von Hergiswil, bei zweimaligem Schellen fuhr der Zug Richtung Brünig.

Die Handarbeit des Grampers

Während sich seine Mutter der Barriere widmete, war Vater Alois Christen als Gramper unterwegs. Der Begriff «Gram­per» ist durch das Aufkommen von Grampmaschinen aus den Büchern verschwunden. In den Anfängen der Eisenbahn bis in die 50er­Jahre wurden die Schottersteine unter den Gleisen massgeblich von Hand durch die Gramper gestopft. «Wisi, gib den Takt», hiess es jeweils frühmorgens. Sein Vater trug als Vorarbeiter­Stellvertreter die Verantwortung für die Gruppe der Gramper, die zuständig für die Strecke zwischen Horw und Giswil war. Vier bis sechs Gramper schritten von Schwelle zu Schwelle und schlugen die Steine im Takt unter die Schwellen. Und dies jeden Tag. «Den Takt der speziellen Gramppickel habe ich jetzt noch im Gehör», sagt Christen und zeigt mit einem Schmunzeln im Gesicht auf seine Ohren. Neben der Gramparbeit war der Vater von Christen mit dem berühmten «Gumpesel» Tm 100, jetzt zb Historic, in Hergiswil unterwegs. Unter anderem wurde mit diesem Fahrzeug Kohle und Quarzsand für die Glashütte um­geschlagen.

Rottenköchin im Test und Zahltag per Schienentraktor

Zuständig für eine formidable Verpfle­gung der Gramper war die Rotten­köchin. Ein ausgezeichnetes Organisa­tionstalent und aufmerksames Gastge­bertum waren Grundvoraussetzungen, um es in die Endrunde als Köchin zu schaffen. «Interessanterweise durften die Rottenmitglieder/Gramper die Rot­tenköchin wählen. Die Männer liessen sich von den Bewerberinnen bekochen und entschieden anschliessend, wer künftig hinter dem Herd des Rottenwagens stehen  durfte.» Vielleicht war es unter an­derem dieser Umstand, der Vater Christen verleitete, zu sa­gen, dass die «Tschifäler» (Obwaldner) komische «Chäibä» seien.

Auf Schienen wurde gespeist, auf Schienen empfingen die Eltern von Ernst Christen den Zahltag. Der Bahn­ und der Bahnvizemeister rollten monatlich mit dem grünen Schienen­traktor an und händigten der Barrierenwärterin und dem Gramper ihre Zahltagsäckchen aus. Ein freudiges Ereignis, denn mit der Übergabe des Geldes wurde die harte Arbeit von Mutter und Vater entlöhnt.

Rasante Entwicklung

Ab den 50er­Jahren entwickelte sich das Verkehrsaufkommen im Lopper­dorf in rasantem Tempo. Thekla, die Mutter von Ernst Christen, wurde am Sonntag von Helfern unterstützt. Sie waren zuständig fürs Aufhalten der Fahrzeuge, sodass die Barrierenwär­terin die Schranken senken konnte. Kleinere und grössere Unfälle häuf­ten sich, von Nasenbrüchen der Velo­fahrer bis hin zu Barriereholmen, die sich durch einen Car «bohrten», gab es viel zu erzählen am Abendtisch bei Christens.

Mit dieser Entwicklung ging auch das Ende des hübschen Barrierenwärterhauses einher. 1958 zog die Familie ins Dorf an die Renggstrasse. Die Faszination für die Bahn blieb Chris­ten erhalten. Obwohl er beruflich den Weg als Historiker ein­schlug, blieb er mit der Bahnwelt verbunden. Heute ist er als geprüfter Reisebegleiter TR Transrail mit der Museums­eisenbahn der EUROVAPOR unterwegs und bringt sein im­menses Wissen ab und zu an die Frau und an den Mann.

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